Grohgasse 10, 1050 Wien
Kurz nachdem ich mit meiner Frau in die Schönbrunner Straße gezogen war, kamen meine Mutter und mein Stiefvater aus Salzburg zu Besuch. Ich holte sie mit dem Auto von der Park-&-Ride-Garage in Hütteldorf ab und bog nahe unserer Wohnung in die Grohgasse ab, die sich hinsichtlich der Suche nach einem Parkplatz als verlässlich erwiesen hatte. Auch damals wurde ich fündig und parkte das Auto – nichts ahnend – vor dem Haus Nummer 10.
Meine Mutter stieg aus, erblickte das Hausnummernschild und sagte plötzlich: „Schau an, dort oben in einer der Dachwohnungen bin ich geboren worden“.
Wie ich heute weiß, lebten meine Großeltern bereits vor dem 2. Weltkrieg in der Grohgasse 10. In den Jahren, nachdem mein Großvater zum Wehrdienst eingezogen worden war und in russische Kriegsgefangenschaft geriet, wohnte meine Großmutter allein dort. Sie erblindete in dieser Zeit und überlebte mit familiärer Unterstützung zurückgezogen die Kriegsjahre in Angst und Hoffnung.
1947 kehrte mein Großvater nach vier Jahren tatsächlich aus Sibirien zurück und stieg von Unterernährung zitternd die Treppe zur gemeinsamen Wohnung hinauf und klopfte. Unsicher öffnete meine Großmutter die Türe und hörte ihren Namen. „Du bist also wirklich wieder da“.
1950 erblickte dort meine Mutter das Licht der Welt.
Das Haus Grohgasse Nummer 10 wird seit einiger Zeit renoviert. Es ist seither eingerüstet und wurde – wie man im Fachjargon sagt – „entkernt“. Auch das Dach und die Dachwohnungen wurden abgetragen und durch einen luxuriösen Dachaufbau ersetzt.
Viel übrig geblieben ist nicht. Und das Haus Grohgasse Nummer 10 wird sich wohl bald in neuem Kleid präsentieren. Nur gut, dass die (persönliche) Geschichte eines Ortes nicht auch von Baumaschinen abgetragen werden kann.
Denn auch wenn äußerlich nichts mehr daran erinnert: Ich werde mich erinnern, wann immer ich daran vorbeigehe oder das Auto davor parke.