Skip to main content

Die Schichtung als schöpferisches Prinzip im Werk von Ingrid Tragler

Eine abstrakte helle Form, die an eine noch unentdeckte Fischart der Tiefsee erinnern könnte und sich mittels weißer Adern selbst zu verbinden scheint, legt sich über Schichten, Farbflächen und teilweise wie Schatten anmutende Strukturen im Hintergrund, die sie dennoch nicht gänzlich abdeckt, sondern geheimnisvoll durchschimmern und erahnen lässt. Sie selbst wiederum wird dabei von einer roten, sich teilweise verästelnden Linie ähnlich einem einfachen Blutkreislauf durchzogen, der sie zwar ihrerseits überlagert, zugleich aber vermag, den Hintergrund in den Vordergrund zu rücken und einen neuen, in die Tiefe weisenden Fokus zu setzen.

Es ist ein Wechselspiel von Leere und Fülle abstrakter aber dennoch reich assoziativer Formen und Flächen und von zugleich dynamischen wie erstarrten Gesten, die Ingrid Tragler zu höchst eigenständigen und – in der ursprünglichsten Bedeutung des Adjektivs – kunst-vollen Kompositionen schichtet und mit den frei experimentellen Mitteln des Siebdrucks zu ausdrucksvollen Werkblöcken formt.

Technik als Mittel zum Selbstzweck

Bekannterweise ist der Siebdruck ursprünglich ein Schablonen-Druckverfahren und als solches per se ein rein technischer Produktionsvorgang. 

Betrachtet man jedoch die Arbeiten von Ingrid Tragler, wird offensichtlich, dass es sich hier vielmehr um einen originär künstlerischen Ausdruck handelt, der sich des Siebdrucks bedient, um diesen hinsichtlich seines gesamten gestalterischen Potenzials auszuschöpfen. Und um Bildwerke zu schaffen, die sich aus einer erweiterten und insbesondere künstlerisch kompositorischen Sicht als seismografische Bildproduktionen erweisen, die deutlich vielschichtiger sind.

Vielschichtigkeit als mediale Transformation
Für ihre neuesten Werkblöcke verwendet Tragler digitale Grafikprogramme als Medium der ästhetischen Transformation.

Nicht analoge Zeichnungen, sondern im Computer generierte Vorlagen dienen der späteren Gestaltung und Übertragung in den Siebdruck. Präziser formuliert handelt es sich dabei um Digitalisierungen analoger, gestisch-rudimentärer wie dynamisch-expressiver Zeichenvorgänge, die sie mit der Computermaus ausführt, um eine bewusst unperfekte, kantig-gepixelte digitale Optik und Ästhetik zu erzielen.

Es findet also eine vielschichtige Transformation und Verstärkung vom Analogen ins Digitale und zurück in die technische Analogie des Druckverfahrens statt.

Vielschichtigkeit als technisch-kompositorische Methode
Die Grundstrukturen ihrer aktuellen Arbeiten bestehen aus in digitale Raster umgewandelten Detailansichten von rostigem Metall oder Ähnlichem, die sie als Fläche auf Baumwollleinen gedruckt in den Hintergrund legt und die dabei trotz ihrer digitalen Optik organische Strukturen hervorrufen.

Anschließend folgt sie weiter der Methode der Vielschichtigkeit, indem sie jedem der genannten Zeichenvorgänge eine bestimmte Farbe zuteilt und im Anschluss als separate Folie auf einzelne Siebe belichtet. Das heißt beispielsweise: Acht Farben – acht Siebe – acht Druckvorgänge – acht Schichten.

Der Akt der künstlerischen Komposition selbst erweist sich schließlich trotz der im Vorfeld genauen Planung als ein schöpferisch-experimentelles Handeln und als Schaffensprozess, bei dem die Vorlagen schichtweise übereinander gedruckt werden.

Dabei legen sie sich nicht nur über den Hintergrund, sondern überlagern sich auch untereinander. Durch diese Schichtung, die Verdoppelung, den Austausch oder auch Weglassung entstehen gleichsam Interferenzvorgänge, wie man sie aus der Physik kennt, wo die Überlagerung von Schwingungen zu Phänomenen der Phasenverstärkungen oder Phasenauslöschung führt. 

Bildelemente werden verstärkt und verdichtet, andere wieder beinahe zum Verschwinden gebracht. Die Werke wachsen, bauen Spannung und Entspannung auf. Ihre Elemente strukturieren und dekonstruieren sich, generieren ästhetische wie inhaltliche Ebenen und verknüpfen sich zu vielschichtig bildimmanenten Bedeutungszusammenhängen.

Vielschichtigkeit als assoziative Dynamik
In Traglers neuen Werkblöcken lässt sich das Serielle ihrer Arbeitsweise anhand der sich wiederholenden Elemente leicht erkennen und dennoch angesichts der improvisatorischen, gleichsam nicht endenden wollenden Vielfalt kaum fassen. Zu sehr oszillieren ihre komplexen Bild-Systeme zwischen Wiedererkennung und Eigenständigkeit, changieren zwischen technischer und organischer Anmutung, zwischen Offenheit und Geschlossenheit und schwingen eindrucksvoll und bedeutsam zwischen abstrakten Ordnungsgefügen und vermeintlich gefügigen Ordnungen.

Ein exemplarisches Beispiel – das auch für jedes andere Kompositionselement gelten könnte, – ist ein gestisches Liniengebilde in Traglers Werkserie „Vibrations“, das ihre kompositorische Vielfältigkeit und Vielschichtigkeit eindrücklich illustriert.

Es handelt sich dabei um eine dynamisch-expressive Linienverdichtung, die – digitalisiert und dennoch so haptisch-sinnlich als wäre sie mit Ölkreide oder Vergleichbarem ins Bild gesetzt – mit einer einzigen Ausnahme in allen acht Arbeiten der Serie wiederkehrt. Allerdings in immer neuen Variationen, Ausrichtungen, Verdoppelungen, verschiedenfarbigen Überlagerungen und Konstellationen zu anderen Gestaltungselementen.

Auf raffinierte Weise suggeriert diese Wiedererkennung dabei dem/der Betrachter:in eine Art trügerischen Verstehens. Ein „Aha-Erlebnis“, das sich dennoch und unmittelbar wieder verliert inmitten der permanent ästhetischen wie semantischen Wandlungen und Ver-Schichtungen, in denen sich das Liniengebilde wiederfindet oder von ihm evoziert wird.

and so on and so forth

Die Einschränkung als Methode zur Entschränkung zeigt sich bei Christiane Reiter in Form von Arbeiten, die sich in und durch ihr Tun gleichsam selbst schaffen

Voraussetzung und Grundlage für Reiters künstlerisches Tun ist dabei ein ihr vorweg selbstauferlegter Handlungsrahmen aus Regeln und Vorgaben (Algorithmen), der die Künstlerin von ungewollten ästhetischen und ikonografischen Gestaltungsfragen befreit.

Alle Konzentration gilt der Handlung, der Verdichtung des Auftragens und dem Werk, das sich als Ergebnis und Ausdruck dieser Handlung zeigt. Das gilt auch für die Künstlerin selbst, die ihre Arbeit nie vollständig zu verstehen oder zu analysieren versucht, um sich und ihren Werken ein Geheimnis zu bewahren. Auf diese Weise scheinen die Arbeiten schweigend Erkenntnisaspekte auszusprechen, die dennoch notwendigerweise unausgesprochen bleiben müssen.

Ihre Regeln bezieht sie meist aus unmittelbaren Gegebenheiten, wie beispielsweise der Länge und dem Durchmesser der verwendeten Buntstifte oder der Größe des jeweiligen Formats und deren mathematischen Teilern, die sie mitunter auch mit Elementen der Wahrscheinlichkeitsrechnung und des Zufalls kombiniert.

Zur Ausführung gelangen die Algorithmen meist mittels Buntstiftes, den Christiane Reiter auf Papier oder Karton in minutiöser Handarbeit, Strich für Strich und Schicht für Schicht zu Farbflächen verdichtet. Insofern kann von Zeichnung nur im weitesten Sinn gesprochen werden, vielmehr ist es ein Be-zeichnen. In diesen kontemplativen Handlungsvollzügen ist die Künstlerin selbst ganz gegenwärtig und gleichzeitig auch weit weg. Ein Zustand, der sich auch unmittelbar auf die Wirkung der Arbeiten überträgt, die, gleichsam in Referenz auf den Aura-Begriff von Walter Benjamin als einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag, im Akt des Zudeckens und zugleich Freilegens ihre Bedeutung beziehen.

So auch in ihrer aktuellen Werkserie and so on and so forth, die darüber hinaus mittels Tapezierung einzelner, aus ihren Arbeiten herausgelösten und vergrößerten geometrischen Strukturen eine Erweiterung in den Raum erfährt und zudem mit deren opulenten Musterung in einen kontrastierenden Dialog mit der formalen Strenge der Einzelwerke und Serialität tritt.

Wie einer Skizze in der Ausstellung zu entnehmen ist, bestand die

1. Ausgangsbasis darin, das Bildformat (80 x 80 cm) in einen Raster von 16 x 16 = 256 Quadrate zu unterteilen, von denen jeweils 2 Quadrate zu einer rechteckigen Einheit verbunden wurden.

2. Darüber, ob diese einzelnen Einheiten – die aneinandergereiht schließlich lückenlos die Fläche ausfüllen – vertikal oder horizontal ausgerichtet wurden, entschied ein theoretischer zweiseitiger Würfel. 1 bedeutete vertikal, 2 horizontal.

3. Danach galt es, den Einheiten eine von 3 ausgewählten Farben zuzuteilen.

Dies erfolgte erneut mittels eines – nunmehr dreiseitigen – Würfels. Jede Zahl entsprach einer Farbe.

4. Die weiteren Schritte bestanden in Folge in 3 Zooms, für die über den Mittelpunkt des jeweils vorangegangenen Werkes, ein Ausschnitt der halben Formatgröße (40 x 40 cm) herausgenommen und auf die Originalgröße vergrößert wurde.

5. Die Mutationen, die schlussendlich zu den immer 4-teiligen, hinsichtlich ihrer Farbkombination zusammengehörigen Serien führten, beruhte auf der Wiederholung der Regel ab Punkt 3, die zu immer neuen Strukturen führte.